Ich besuchte Pljos schon oft: mit dem Schiff, Auto und Zug. Im Winter, im Frühling und im Herbst. Und jedes Mal war mir der Besuch zu kurz. Die Anreise mit dem Zug ist via Iwanowo oder Kostroma möglich, von dort aus fährt man noch eine Stunde mit dem Taxi. Iwanowo wurde vor kurzem ebenfalls in die Liste der Städte des Goldenen Rings Russlands aufgenommen, jedoch nicht wegen des altrussischen Erbes und vieler Kathedralen, sondern im Zusammenhang mit der herausragenden revolutionären Geschichte und konstruktivistischen Architektur. Neben Moskau und Petrograd (heute Sankt Petersburg) wurde Iwanowo zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur einer der Hauptstädte der proletarischen Bewegung. Das war immer die Stadt der Arbeiter und das Zentrum der Textilindustrie des Landes. Auch jetzt gibt es in Pljos einen lokalen Markt mit reichem Sortiment an Textilien der Iwanowo-Manufakturen. Unter den Textilarbeitern von Iwanowo erschienen die mutigsten revolutionären Ideen, auf den Betrieben fanden die ersten Proteste und Streike statt. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die Industriestadt als Beispiel sowjetischer Stadtplanung mit zahlreichen Baudenkmälern der Avantgarde-Architektur.
Eine Reise via Kostroma lohnt sich auch. Das ist eine größere uralte Stadt am Ufer der Wolga, die eine bedeutende Rolle in der russischen Geschichte spielte. Als Ort der Krönung von Michail Romanow am Anfang des 17. Jahrhunderts wurde Kostroma als "Wiege der Romanow-Dynastie" genannt.
Im 19. Jahrhundert erlangte Pljos den Reichtum als Zentrum des Leinen- und Fischhandels Russlands. Lokale Kaufleute ließen anstatt der kurzlebigen Holzbauten Kirchen und Häuser aus weißem Stein bauen. Trotz der raschen Wirtschaftsentwicklung wurde die Eisenbahnstrecke 70 km von Pljos entfernt verlegt, und dies spielte die entscheidende Rolle in der weiteren Stadtgeschichte – Pljos blieb für lange Zeit eine ruhige Provinzstadt. Es gibt hier keine Industrie. Nur gepflegte Landgüter der Kaufleute aus dem 18. und 19. Jahrhundert am Ufer erinnern uns an die Vergangenheit von Pljos als einer wichtigen Handelsstadt. Heute sind kleine Souvenirläden und gemütliche Cafés in ehemaligen Kaufmannshäusern untergebracht. So kann man bei einem Spaziergang an der Uferpromenade das Stadtbild im 19. Jahrhundert fassen.