Terem Astaschowo

Holzpalast in nördlichen Wäldern
Februar 2020
540 km von Moskau
970 km von Sankt Petersburg
liegt auf der alten Strecke der Transsibirischen Eisenbahn
Land und Leute, Architektur, Natur, Aktivitäten
Anna Safronowa
Erlebnisse

  • traditionelle Baukunst der Architekten und Handwerker bewundern
  • tiefe nördliche Provinz besuchen und im verschneiten Wald wandern
  • Handfertigung von Walenki ansehen
  • Gerichte aus dem russischen Ofen verkosten
  • mit Schneemobil und Schlitten fahren
Prächtiger Holzpalast Astaschowo ist das am Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Landgut eines wohlhabenden Bauern im Norden der Region Kostroma. Während der Revolution am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es dem Besitzer entnommen, blieb lange verlassen, verfiel und stürzte schließlich fast ein. Und erst vor einigen Jahren wurde es in der Wildnis der Wälder ganz zufällig entdeckt. Nach der Restaurierung laut Originalzeichnungen wurde hier ein einzigartiges Gästehaus im Stil der traditionellen russischen Architektur eröffnet.
Unterwegs besuchen wir noch zwei kleine Provinzstädte: Galitsch, das am alten Zweig der Transsibirischen Eisenbahn liegt, und Soligalitsch, wo die berühmtesten russischen Filzstiefel – Walenki - immer noch von Hand gefertigt werden.
Die unglaublichsten Schätze sind manchmal an den Orten versteckt, die für das gewöhnliche Auge unzugänglich sind. So ein Schatz wurde einmal von einem Moskauer Ehepaar während ihrer Reise in der Kostroma Region entdeckt. Weit entfernt von Städten, Dörfern, guten Autostraßen und ständiger Internetverbindung, mitten im dichten Fichtenwald erheben sich geschnitzte Türme Holzpalastes wie aus einem alten russischen Märchen.

Geschichte von Terem

Es wurde vermutlich im Jahr 1897 von einem örtlichen Bauer namens Martjan Sasonow für seine Familie errichtet. Viele Jahre lang arbeitete er in Sankt Petersburg, kehrte aber im Herbst des Lebens in die Heimat zurück und ließ dieses wunderbare Sommerhaus in den besten Traditionen authentischer russischer Holzbaukunst bauen. Nach Form und Verzierung mit bizarren geschnitzten Ornamenten erinnert es einen traditionellen altrussischen „Terem" (Gemach).

Nach dem Tode seines Schöpfers wurde Terem im Jahr 1918 verstaatlicht, also konnte vom sowjetischen Staat nach eigenem Ermessen benutzt werden. So wie in vielen anderen bedeutenden vorrevolutionären Bauten wurden hier zu Sowjetzeiten verschiedene Einrichtungen untergebracht, darunter eine Bibliothek, ein Postamt, eine Erste-Hilfe-Station, eine Sparkasse, ein Club. Schließlich zogen Dorfbewohner in die Großstädte um, Terem in Astaschowo wurde unnötig, blieb für mehr als 30 Jahre im Wald verlassen und brach fast völlig zusammen.

Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts erlangte das alte Haus das neue Leben. Der neue Besitzer investierte viel Mühe und Energie, um die frühere Pracht von Terem wiederherzustellen. Unglaublich große Arbeit war im Laufe von 8 Jahren geleistet worden, bevor das bereits verfallene Gebäude mit wackeligen Baukonstruktionen und fast verlorener wertvoller Innenausstattung wieder die Tür für die Gäste öffnete. Alle möglichen historischen Elemente wurden aufbewahrt und sorgfältig restauriert, sonstige Details bildeten die besten Meister der Holzbaukunst mit historischer Genauigkeit und hohem Aufwand nach.

Heute ist Terem in Astaschowo ein einzigartiges Projekt mit einer Aufgabe das historische und kulturelle Erbe aufzubewahren. Nicht nur ein Museum, sondern auch ein großes Haus, dessen Türen für die Gäste immer offen stehen. Alles wird hier mit Liebe gemacht. Sie spüren es in jedem einzelnen Detail: in farbigen Mosaiken der Buntglasfenster, in der heißen Banja, in Ihrem gemütlichen Zimmer, auf schweren Tasten des alten Klaviers, im traditionellen Getränk aus nördlichen Beeren, im in dem großen russischen Ofen gebackenen Kuchen und in den leuchtenden Augen der gastfreundlichen netten Menschen, die hier eher leben als nur arbeiten.
Um dieses Wunder des Nordens zu bewundern und in nur einer Nacht im Zug auf ein hundert Jahre zurückzuschauen, machen wir uns auf eine Reise ins Wintermärchen.

Dies ist eine Reise in die ruhige Provinz, eine Bekanntschaft mit ursprünglichen Traditionen, wilder Natur, komplizierten Seiten russischer Geschichte und Schicksalen der Menschen, die ein herausragendes Erbe hinterlassen wollten. Dies ist eine Reise eher nicht für herkömmliche Touristen, sondern für Entdecker des echten Russlands
Wintermärchen in Astaschowo

Galitsch

Der Winter in Moskau war schneearm und nass, also freute ich mich beim Einstieg in den Nachtzug sehr darauf, am nächsten Morgen eine echte Winterlandschaft genießen zu können. Meine Erwartungen wurden absolut erfüllt. Um 7 Uhr morgens wurden Fahrgäste mit knisterndem Frost und glänzendem Schnee an der kleinen Eisenbahnstation Galitsch begrüßt.

Das im Jahr 1159 gegründete Galitsch liegt am nördlichen Zweig der Transsibirischen Eisenbahn und ist eine sehr ruhige Provinzstadt: mit engen Gassen, netten ehemaligen Kaufmannlandgütern und kleinen Dorfhäusern, einem uralten Erdwall am Ufer des großen Galitsch-Sees und weißsteinigem Maria-Entschlafens-Kloster aus dem 14. Jahrhundert.

Im Landeskundemuseum, das im ehemaligen Haus des örtlichen Kaufmanns untergebracht ist, lernt man die Lebensweise und die Hausausstattung aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts kennen und frühstückt mit üppigen Pfannkuchen zu den Klängen des alten Harmoniums. Wir wurden besonders herzlich und aufrichtig empfangen, die Gäste kommen nach Galitsch ja nicht oft.

Galitsch, Reisen im Norden Russlands
Galitsch

Soligalitsch

In paar Stunden Autofahrt nach Norden erreicht man noch eine kleine Stadt Soligalitsch. Obwohl beide Städte ähnliche Namen haben, sieht Soligalitsch mit etwa 5 000 Einwohnern mit einstöckigen Häusern, Holzbrücken und schwarzen Kuppeln einer alten Kirche eher als ein abgelegenes Dorf aus. Seit dem 14. Jahrhundert gab es hier einen Kreml, Salzminen und bedeutende Handelswege, aber während des Baus von Transib verlief die Eisenbahnlinie 95 km südlicher, wodurch die industrielle Rolle von Soligalitsch allmählich reduziert wurde und die Stadtentwicklung praktisch einfror.

Eines der lokalen Unternehmen produziert berühmte Walenki, traditionelle Winterschuhe aus Schafwolle. Die Werkstatt befindet sich im großen hölzernen Gebäude, das früher für Gefängniskirche vorgesehen wurde. Seit 1930er Jahren arbeiten hier täglich Dutzende eifriger Frauenhände an der Herstellung der beliebtesten und wärmsten russischen Stiefel.

Die Nachfrage nach Walenki im Winter ist in Russland recht hoch, deswegen gibt es viel zu tun. Am Eingang riecht plötzlich nach gekochter Schafwolle, im Dampfrauch hört man leise Stimmen und das Klappern einer alten Einrollmaschine. Die Werkstatt ist in einige Betriebsräume geteilt: in einem sammelt und sortiert man die neugebrachte Schafwolle, im anderen rollt man sie aus, im nächsten bildet man daraus riesige Walenki, kocht man sie in alten Behältern aus und trocknet. Der Prozess ist lang, kompliziert und zeitaufwändig. Fast alles wird manuell von Frauen gemacht. Schwere Arbeit. Ich spreche die Mitarbeiterinnen an. Sie möchten nicht klagen und lächeln nur bescheiden. Trotz schwer ertragbaren Arbeitsbedingungen herrscht hier eine lebhafte und sehr freundliche Atmosphäre. Die Frauen erzählen gerne über altes Verfahren und zeigen ihre Kunst zu den seltenen Gästen.
In der Nähe gibt es einen Laden mit Filzstiefeln, in dem sie in allerlei Größen und Arten und schon wunderschön mit Stickereien dekoriert zum Verkauf bereit ausgestellt sind.

Tipp von Anna: später in Astaschowo werden Sie hohe Stiefel oder Walenki für die Wanderung im Wald benötigen
Walenki, Felzstiefel in Russland
Walenki - russische Felzstiefeln

Astaschowo

Schon müde, hungrig und verfroren fährt man weiter nach Astaschowo. Abseits der Hauptstraße führen die letzten 20 km, die extra zum Terem gebaut wurden, durch den dichten mit knietiefem Schnee bedeckten Wald. Wir werden besonders herzlich willkommen geheißen und steigen ein paar Kilometer vor dem Ziel auf die Schlitten um. Durch den Wald und über schmale Holzbrücken kommen wir schnell und abenteuerreich an. Rechts öffnet sich eine märchenhafte Ansicht - die spitzen Türme eines Holzpalastes im Schnee.

Man erwartet uns schon im großen Speisesaal, Mittagessen aus dem Ofen raucht auf dem Tisch. Vom Frost wirkt es äußerst duftend, heiß, gemütlich. In so einem Haus erzählt jedes Detail von seiner erstaunlichen Geschichte: eine alte Kommode mit gemusterten Porzellantassen, Spitzentischdecken und verzierte Kerzenleuchter. Wir klettern auf den Turm: für viele Kilometer niemand da - nur Wald und Schnee. Am Abend steht schon die Banja bereit. Wer möchte, kann sofort nach dem Schwitzbad in den weißen unberührten Schnee eintauchen. Die Nacht ist dunkel, die Sterne scheinen hell. Da ist der – ein echter russischer Winter.

Alle Zimmer im Terem sind in einem einzigartigen Stil mit vollem Komfort für die Gäste und Liebe zum Detail eingerichtet. In meinem Zimmer mit Sicht auf den Wald befindet sich ein großes Holzbett mit vielen Kissen und gestickter Decke, einem alten großen Spiegel und wunderbarem Badezimmer, von dem der erste Hausbesitzer nicht einmal träumen konnte.

Pogorelowo

Lebensmittel werden in die Terem-Küche von einheimischen Bauern geliefert. Der Koch ist ein wahrer Meister. Kein besseres Frühstück kann man sich hier vorstellen als Pfannkuchen aus dem Ofen und frischer fetter Sauerrahm mit Hüttenkäse und Marmelade aus nördlichen Beeren. Man muss sich gut vorbereiten - heute steht uns ein erlebnisreicher Tag im Wald vor.

Unser heutiges Reiseziel ist noch ein Terem im Dorf Pogorolewo. Im Gegensatz zu Astaschowo wird es erst restauriert, und wir haben eine einmalige Chance, es so zu sehen, wie es vor mehr als hundert Jahren ausgesehen hat. Vor Abreise ist eine obligatorische Ausrüstungskontrolle. Das Auto fährt dorthin nicht durch, deshalb erreicht man Pogorelowo oft mit Schneemobilen. Wir beschlossen jedoch die 20 km lange Strecke womöglich mit dem Auto zu befahren und weiter zu Fuß durch den wilden Wald zu wandern. Warme Jacken, hohe Stiefel oder Walenki und wasserfeste Handschuhe sind ein Muss.
Als erster marschiert der lokale Führer, wir folgen ihm und bewundern unterwegs hohe schlanke Fichten und Birken. Es beginnt zu schneien und alles wird gleich fabelhaft weiß und ruhig, so dass nur eisige Schneekruste im Takt unserer Schritte unter den Füßen knarrt.

Wald im Winter, Reisen im Norden Russlands
durch den Wald
Die meisten Häuser in Pogorolewo sind leider schon zusammengebrochen, tatsächlich ist es ein totes Dorf. Höchstwahrscheinlich würde das im Jahr 1903 erbaute Terem in Pogorelowo in einigen Jahren das gleiche Schicksal erlitten. Man geht durch eine Lindenallee und traut eigenen Augen nicht: vor uns erhebt sich ein prachtvolles hölzernes Haus mit geschnitzten Fensterläden, festlicher Außentreppe und verglastem Mezzaningeschoss. Trotz Verödung und Baufälligkeit ist es ein echtes Meisterwerk.

Im Inneren sind bunte Glasfenster, eine schicke große Freitreppe und Stuckdecke erhalten geblieben. Wie hat der Besitzer dieses Haus geplant? Wie hat er es gebaut? Wie war das Leben hier? Alle Antworten bewahren diese Wände. Über den Besitzer wissen wir nicht viel. Er hieß Iwan Poljaschow und baute im Dorf nicht nur ein Haus für sich, sondern auch eine Kapelle und eine Mühle. Auch wie in Astaschowo wurde das Terem in Pogorelowo während der Revolution verstaatlicht und mit einigen Bauernfamilien angesiedelt, Iwan erhielt im eigenen Haus nur ein Zimmer im Erdgeschoss. Bis 1972 war hier das Dorfrat untergebracht, die Einheimischen begaben sich in die Großstädte und allmählich blieb das ganze Dorf verlassen, bis das Terem vor einigen Jahren zufällig entdeckt wurde.

Ich gehe langsam die Treppe hoch, mache hohe bemalte Türen auf, schaue durch gemusterte alte Fenster auf den umliegenden Wald und stelle mir vor, wie dieses Haus damals ausgesehen hat und wie aussehen wird, wann die Restauratoren ihm ein neues Leben schenken.

Vielen Dank für die Bilder an Waleria Iwanowa
Nach dem Spaziergang in der Umgebung von Terem hat man einen Imbiss im Freien, dafür brachte unser Führer den heißen Tee. Dann machen wir uns auf den Rückweg. Am Abend kann man in Astaschowo noch im Wald spazieren gehen oder mit dem Schneemobil fahren, die Banja besuchen, Klavier spielen, sich im Schaukelsessel auf der Veranda oder auf dem warmen Ofen liegend entspannen oder einfach zu Ofengeknister sitzen und aromatischen Kräutertee trinken. Im Sommer werden Trekkingtouren und Bootsfahrten auf dem Fluss Wiga von lokalen Reiseführern organisiert.

Das lange Wochenende ist schnell vorbei und es ist schon Zeit nach Hause zu fahren. Ins Gepäck nehmen wir auch ein paar Dosen Marmelade aus nördlichen Beeren vom örtlichen Koch. In Paar Stunden erreicht man den Bahnhof Galitsch und steigt wieder in den transsibirischen Zug ein, der aus Wladiwostok nach Moskau fährt.

Eisangeln, Reisen im Norden Russlands
Fischer am Galitsch-See
Beide Kostromaer Terem sind bei Reisenden noch nicht so bekannt, wie Städte des Goldenen Rings, deswegen trifft man hier nicht viele Touristen und genießt eine Möglichkeit, in die Atmosphäre vergangener Jahrhunderte einzutauchen und allein, mit Freunden oder Familie die Schätze zu bewundern, die seit vielen Jahren vor neugierigen Blicken verborgen gewesen sind.

Da Galitsch auf der Transib liegt und mit Moskau und Sankt Petersburg bequem verbunden ist, kann man einen Besuch in Astaschowo während einer Reise zwischen Moskau und Sankt Petersburg oder zum Beginn der großen Transsibirischen Reise einplanen.
Reisekarte Norden Russlands
  • REISEPLAN:
Tag 1 - Nachtzug Moskau - Galitsch
Tag 2 - Besuch von Galitsch - Soligalitsch - Astaschowo
Tag 3 - Astaschowo und Ausflug nach Pogorelowo. Transfer zum Bahnhof. Nachtzug Galitsch - Moskau.
Tag 4 - Ankunft in Moskau


  • EMPFOHLENE REISEDAUER: 2-3 volle Tage
  • EMPFOHLENE REISESAISON: Mai - September, Dezember - März
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