Wolgograd, diese Stadt war jedem in der DDR aufgewachsenen ein fester Begriff für die Wende in dem Krieg, mit dem die großmäuligen Deutschen Europa und besonders diese Stadt an der Wolga überzogen.
Aber bei allem, bei Literatur, Filmen, Berichten, war uns die Stadt trotzdem weit weg und ein richtiges Bild wollte sich – im Gegensatz zu Moskau oder St. Petersburg - im Detail nicht einstellen.
Da bekam ich durch eine „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme" im Jahre 2005 die Gelegenheit, als Sprachmittler in diese Stadt zu fahren. Mit einem Transporter und zwei Lkw, die eine zerlegte Orgel im Schlepp hatten um diese fast 3000 Kilometer durch Polen und die russische Steppe „erfuhren", um sie in Sarepta, südlich von Wolgograd, in ein „Kirchlein" der Herrnhuter Brüdergemeine einzubauen. Dieses war vor gut zweieinhalb Jahrhunderten errichtet worden, als die Zarin Katharina II. deutsche Menschen zur Besiedlung des Wolgagebiets einlud.
Dieser abenteuerlichen Reise schlossen sich mehrere nach Sarepta an und durch die „Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde" lernte ich auf weiteren Reisen das (Schicksals-)Bild dieser Stadt kennen. Wie anders reich ist diese Stadt! Nicht goldene Kirchtürme, nicht üppige historische Denkmäler. Nein: auf 90 Kilometer erstreckt sich eine aus Trümmern wieder empor gewachsene Stadt, die die Nähe des Wolgawassers mit dem würzigen Duft der südrussischen Steppe mischt, in der die Klänge der Donkosaken aus dem eigenen Theater ins Freie strömen und Lust auf einen Besuch eines der Kosakendörfer befördern.
Und es ist nicht zuletzt das unendlich erscheinende Gräberfeld von Rossoschka, auf dem internationale Jugendbrigaden immer noch die Überreste der Schlacht von Stalingrad bergen.
Das schweigende riesige Feld birgt vor allem deutsche aber auch Knochen ihrer „Verbündeten" und, durch eine Straße getrennt, die Gräberfelder der Sowjetsoldaten.
Über beiden möge sich der friedliche Himmel von Stalingrad wölben und in die Welt von heute ausstrahlen.
Wolfgang Kroschel
Reisender