Die Reise hatte mich brennend interessiert, weil mein Vater noch kurz vor der Einkesselung der 6. Armee als Fahrer eines Verwundetentransports aus Stalingrad herausgekommen war. Wie viele seiner Generation hat er jedoch nicht über seine Kriegserlebnisse gesprochen.
So war mein Bild von der Schlacht um Stalingrad bis zu dieser Reise äußerst einseitig von den in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre vorherrschenden antisowjetischen Darstellungen geprägt: nämlich dem Schicksal der eingekesselten deutschen Soldaten, der bewegenden Heimkehr der wenigen Überlebenden nach der Moskau-Reise Adenauers 1955 und dem negativen Leumund von Generalfeldmarschall Paulus. Gewiss, später hätte ich mich über das tatsächliche Geschehen besser informieren können, aber dafür blieb mir wenig Zeit. So verdanke ich der Reise zuallererst, das Versäumte nun nachgeholt und mein Geschichtsbild korrigiert und erweitert zu haben.
Wer noch nicht begriffen hat, was Krieg bedeutet, muss auf die Schlachtfelder von Verdun und vor allem auf den Mamajew-Hügel und in das militär-historische Museum des neuerbauten Wolgograd gehen. Die eindringliche Darstellung der brutalen Bombardierung Stalingrads durch die deutsche Luftwaffe und des monatelangen verlustreichen Häuserkampfes mit ständiger Verschiebung der Fronten ist derart erschütternd und bedrückend, dass man als Deutsche nur innehalten kann und sich der Unmenschlichkeit des Vernichtungsfeldzugs gegen die Sowjetunion auch nach 75 Jahren für das eigene Land schämt. Umso beeindruckender die Freundlichkeit, mit der uns die Einheimischen begegneten, soweit die Reise Kontakte ermöglichte, und beschämend, dass ausgerechnet die Musik eines deutschen Komponisten, Robert Schumanns „Träumerei", in der Ruhmeshalle auf dem Mamajew-Hügel ertönt.
Welch ein Kontrastprogramm an den folgenden Tagen, als uns ein Ausflug nach Nordwesten zu einer Kosaken-Farm in Ilowlja führte, sowie das Treffen mit Veteranen, Stadtverordneten und Jugendlichen im „Kinder- und Jugendzentrum" Wolgograds. Es hinterließ ein versöhnliches Fazit dieser Reise: Stalingrad ist aus den Trümmern wiederauferstanden und lebt. Wie kaum eine andere gemahnt diese Stadt, den Frieden als höchstes Gut der Menschheit zu bewahren. Und so möchte man allen, die weiterhin auf die Macht der Waffen setzen, zurufen: Fahrt nach Wolgograd und seht, was Krieg anrichtet.
Gabriele Gast
Teilnehmerin der Reise